Ein interdisziplinäres Forschungsprojekt an der Fakultät Bauingenieurwesen vereint ingenieurwissenschaftliche Methoden mit der Restaurierung und Konservierung wertvoller Kulturgüter aus Holz. Um die Zusammenarbeit auf diesem Gebiet zu vertiefen, war die renommierte Kulturerbe-Forschungsgruppe des Jerzy Haber Instituts für Katalyse und Oberflächenchemie der Polnischen Akademie der Wissenschaften Kraków unter der Leitung von Prof. Łukasz Bratasz jetzt im Institut für Statik und Dynamik der Tragwerke zu Gast.
Im Fokus der gemeinsamen Forschungsarbeit stehen Tafelgemälde und weitere Kunstwerke aus einem komplexen Materialmix, die ähnlich wie Bauwerke und Bauteile, bauphysikalischen Fragestellungen unterliegen. Diese Kunstwerke bestehen aus natürlichen Materialien, die empfindlich auf Klimaänderungen reagieren, was zu irreversiblen Schäden führen kann.
Um genaue Prognosen und Handlungsempfehlungen zur Erhaltung der Kunstwerke erstellen zu können simulieren die Wissenschaftler den Alterungsprozess anhand von digitalen Modellen. Etwaige Schädigungsmechanismen, das Strukturverhalten unter Klimaänderungen sollen analysiert werden, um mithilfe einer realistischen Modellierung einer weiteren Schädigungsausbreitung zuvorkommen zu können. Herausfordernd ist die Tatsache, dass sowohl das Materialverhalten als auch die Belastungsgeschichte der historischen Unikate oft unbekannt sind. Insbesondere die Klimahistorie spielt eine entscheidende Rolle für das Strukturverhalten der Kunstwerke.
Das gemeinsame Ziel der Wissenschaftlerinnen und Wissenschaftler ist eine nachhaltige und präventive Konservierung der einzigartigen Kulturgüter.
Die Kunstwerke stehen im Mittelpunkt. Forscherinnen und Forscher der Polnischen Akademie der Wissenschaften Kraków zu Besuch beim Institut für Statik und Dynamik der Tragwerke (v.l.n.r.: Łukasz Bratasz, Niklas Schietzold, Marcin Strojecki, Daniel Konopka, Marcin Bury, Michael Kaliske, Sergii Antropov, Sonia Bujok, Magdalena Soboń und Robert Fleischhauer)
Bereits seit längerem beschäftigen sich Wissenschaftler des Instituts für Statik und Dynamik der Tragwerke (ISD) in verschiedenen Forschungsprojekten mit dem Einsatz digitaler Werkzeuge zum Erhalt wertvoller Kulturgüter durch Simulation. So startete beispielsweise 2019 das Projekt VIRTEX, eine Kooperation mit dem Institut für Holztechnologie Dresden und der Hochschule für bildende Künste Dresden.
Künstlerische Arbeiten gelten seit jeher als Zeugen ihrer Zeit, die gesellschaftliche Entwicklungen und historische Ereignisse, sowie Geschichte und kulturellen Wandel in verschiedenen Epochen widerspiegeln. Allein dadurch stellen historische Kunstwerke einen unschätzbaren Wert für die Gesellschaft dar. Dementsprechend wichtig ist es, sie der Öffentlichkeit zugänglich zu machen, sie zu zeigen und dauerhaft zu erhalten. Was naheliegend klingt ist in der Praxis nicht leicht und selbstverständlich umsetzbar. Allein die klimatischen Bedingungen, denen Kunstwerke beispielsweise in Museen ausgesetzt sind, lassen sich teilweise schwierig einschätzen und nicht immer genau einstellen. Fehler in der Aufbewahrung von Kulturgütern werden oft erst bemerkt, wenn entsprechende Schäden auftreten. Klimatische Veränderungen, die mit verschiedenen Jahreszeiten, jedem einzelnen Besucher oder bestimmten Bauwerkseigenschaften der Lager- oder Ausstellungsräume zusammenhängen, können Kunstgegenstände schädigen und zu einem stetig andauernden Verfallsprozess führen. Für Museumsbetreiber ergibt sich daraus ein permanentes Tätigkeitsfeld, Konservierung und Aufbewahrung historischer Gemälde und Kunstgegenstände stellt eine eigene Wissenschaftsdisziplin dar.
Ingenieurwissenschaftlich betrachtet sind Gemälde komplexe Objekte aus einem umfangreichen Materialmix wie Holz oder Stoff als Träger- und Rahmenkonstruktionen, sowie einem vielschichtigen Farbaufbau und schützenden Überzügen. Sie sind vergleichbar mit komplexen Bauteilen und damit verbundenen bauphysikalischen Fragestellungen, die im Bauingenieurwesen themenbestimmend sind.
Seit im Sommer 2019 die damalige Ministerin für Kunst und Wissenschaft, Dr. Eva-Maria Stange, feierlich einen Förderbescheid übergeben hat und damit der Startschuss für das Forschungsprojekt „Virtuelle Experimente für Kunstobjekt“ (VirtEx) gefallen war, beschäftigen sich Wissenschaftler des Instituts für Statik und Dynamik der Tragwerke der TU Dresden (ISD), KonservierungswissenschaftlerInnen des Studiengangs Restaurierung der Hochschule für Bildende Künste Dresden (HfBK) und die MaterialwissenschaftlerInnen des Instituts für Holztechnologie Dresden (IHD) nun gemeinsam mit diesem Thema. Es sollen Verfahren erarbeitet werden, mit denen verstärkt ingenieurwissenschaftliche Methoden in der Restaurierung und Konservierung von Kulturgütern aus Holz eingeführt werden, um optimale Bedingungen für solche Kunstobjekte festlegen zu können.
In der praktischen Arbeit heißt das, dass Kunstwerke, ähnlich wie komplexe Bauteile mit möglichst vielen Daten und Parametern erfasst werden müssen. Dabei zählen Verformungen, Rissbildungen oder auch andere Schäden, die im Laufe der Zeit an den Objekten entstanden sind, genau wie Dimensionierungen, Geometrie, Materialstärken und Materialart zu wichtigen Parametern. Mit einer realitätsnahen theoretisch-numerischen Abbildung der Strukturen virtuell im Rechner, basierend auf der Finite Elemente Methode (FEM), ist es möglich, ein Berechnungsmodell für Holzobjekte zu erstellen und deren Veränderung bei Holzfeuchte- bzw. Klimaschwankungen vorherzusagen.
Je besser es dabei gelingt, die tatsächlichen Eigenschaften der Materialien zu erfassen, desto genauer sind die Prognosen für Veränderungen, bis hin zur Vorhersage von Kriechen und dauerhaften Schäden. So können virtuell Experimente durchgeführt werden, bei denen die Grenzen überschritten werden, ohne dass die „echten“ Objekte Schaden nehmen.
Im September fand im Rahmen des VirtEx-Projekts eine Sommerschule statt, um die Anwendung der neu entstandenen Verfahren in der Praxis zu erproben und mit der klassischen restauratorischen Herangehensweise zu vergleichen. Studierende der Fakultät Bauingenieurwesen der TU Dresden und Studierende der Fachrichtung Restaurierung der Hochschule für Bildende Künste Dresden (HfBK) untersuchten zu diesem Zweck einen Flügel des spätgotischen Altarretabels aus Kirchbach im Stadtmuseum Freiberg. Dieses Tafelgemälde auf Nadelholz weist altersbedingt starke Deformationen auf und soll demnächst in andere Räumlichkeiten umgehängt werden. Im Rahmen der Sommerschule wurde herausgearbeitet, inwieweit sich die klimatischen Veränderungen, die sich mit dem Raumwechsel einhergehen, auf das Kunstwerk auswirken. Dazu wurde die Tafel exemplarisch untersucht und im Computer modelliert, um das Ergebnis mittels FEM virtuellen Experimenten zu unterziehen, die dann in Empfehlungen zum Klima mündeten. Einen wichtigen Teil nahm die 3D-Erfassung und die Erkundung der Möglichkeiten der Dokumentation von dreidimensionalen Veränderungen von Holztafelgemälden durch die „Structure from Motion“- Methode ein.
Parallel dazu wurde mit klassischen restauratorischen Untersuchungen ein Konzept entwickelt. In einer Abschlussveranstaltung, bei die Projektleiter Prof. Kaliske und Prof. Herm anwesend waren, zogen die beteiligten Studierenden ein positives Fazit. Die Zusammenarbeit zwischen Restauratoren und Bauingenieuren erwies sich als sinnvoll. Allein der didaktische Nutzen in der Ausbildung sei enorm, da sich Schädigungen gut simulieren lassen. Die physikalischen Modelle der Ingenieure gaben einen guten Einblick ins Innere der verarbeiteten Materialien. Gut darzustellen war beispielsweise die Feuchtezunahme der Holzelemente des Kunstwerks im Vergleich zu Trocknungsphasen, nachdem sich das Raumklima im virtuellen Versuch geändert hat. Nach Ansicht aller Beteiligten ist für die Aussagekraft der Versuche dabei die Qualität der Daten entscheidend. Insgesamt können mit der Entwicklung solcher digitaler Verfahren völlig neue Perspektiven für Kunstschätze erschlossen werden, eine Neuauflage der Summerschool VirtEx wird im nächsten Jahr sicherlich folgen.
Bericht: André Terpe
Exakte Ermittlung der genauen Zustandsdaten des Kunstwerkes. Die Studierenden dürfen den Altarflügel im Stadtmuseum Freiberg genau unter die Lupe nehmen. Foto: Oliver Tietze
Ansprechpartner:
Prof. Dr.-Ing. habil. Michael Kaliske, (ISD, TU Dresden) Prof. Dr. Christoph Herm, (HfBK Dresden)
Kunst- und Wissenschaftsministerin Dr. Eva-Maria Stange hat heute an der TU Dresden einen Zuwendungsbescheid für das interdisziplinäre Projekt VirtEx in Höhe von knapp einer halben Million Euro übergeben.
Dr. Eva-Maria Stange übergibt feierlich die Förderbescheide an die Projektbeteiligten; Bild: André Terpe
Bei dem Vorhaben geht es um die Erforschung von Grundlagen zur nachhaltigen Konservierung und Restaurierung historischer hölzerner Kulturgüter, beispielsweise Ikonen, unter veränderlichen klimatischen Bedingungen. An dem Projekt beteiligt sind das Institut für Statik und Dynamik der Tragwerke der TU Dresden (ISD), das Institut für Holztechnologie Dresden und die Hochschule für bildende Künste Dresden. Daneben gibt es Kooperationen mit russischen Experten vom Surikov-Institut und dem Andrej-Rubljov-Museum.
Kunst- und Wissenschaftsministerin Dr. Eva-Maria Stange: „Ich freue mich besonders über die Beteiligung unterschiedlicher Fachrichtungen an diesem Forschungsprojekt. Damit reicht der Synergieeffekt von der Grundlagenforschung über die Geisteswissenschaften bis zur praktischen Denkmalpflege. Das gesammelte Wissen kann nicht nur den zahlreichen sächsischen Sammlungen mit ihren kostbaren Kunstwerken zugänglich gemacht werden, sondern wird darüber hinaus den Forschungsstandort Sachsen international stärken und seine Sichtbarkeit erhöhen.“
Basis der Forschungen werden modellhaft Ikonen sein. Wegen ihrer Brettstärke von etwa vier Zentimetern werden bei ihnen über das Zweidimensionale hinaus Schäden wie etwa Risse auch im Querschnittsprofil erkennbar. Experimentelle Untersuchungen der Kult- und Heiligenbilder unter verschiedenen Klimaszenarien sowohl im Labor als auch in der Gedächtniskirche der Russisch-Orthodoxen Kirche in Leipzig bilden die Basis für die Analysen, mit denen sich etwa Feuchte und Verformung der Ikonen erfassen lassen.
Projektleiter Professor Dr. Michael Kaliske vom ISD: „Mit diesem wirklich sehr vielschichtigen, interdisziplinären Projekt haben wir die Chance, neueste ingenieurwissenschaftliche Methoden in die Restaurierung und Konservierung von Kulturgütern aus Holz einzuführen. Im Rechner werden virtuelle Experimente an den Objekten durchgeführt, ohne diese zu beeinträchtigen, und die Strukturantwort prognostiziert. Die digitalen Technologien, die zum Beispiel in der Automobilindustrie Gang und Gäbe sind, können – weiterentwickelt – für Kunstschätze ganz neue Perspektiven erschließen.“
Text: SMWK
Projektbeteiligte: v.l.n.r.: Erzpriester Alexej Tomjuk (Russisch-orthodoxe Kirche Leipzig), Prof. Christoph Herm (HfbK), Prof. Michael Kaliske (ISD), Prof. Björn Weiß (IHD); Bild: André Terpe