Großer Lauschangriff auf alte Bauten
Dresdner Bauingenieure wollen Bausubstanz erhalten helfen
Alles wird älter! Nicht nur die Lebenserwartung der Menschen steigt stetig an, sondern auch die unserer Bauwerke. Wir haben über die vergangenen Jahrhunderte einen riesigen Wert an bestehender Bausubstanz geschaffen, und dieser ist nicht so einfach zu ersetzen. Nicht nur die große wirtschaftliche Bedeutung, sondern auch der ideelle Wert der vorhandenen Bauwerke zwingt uns dazu umzudenken. So sind heute schon mehr Bauingenieure damit beschäftigt bestehende Bauwerke zu erhalten anstatt neue zu bauen. In Dresden haben Forscher einen Weg gefunden, mit Hilfe von innovativen Messtechniken mögliche Schädigungen von Bauteilen rechtzeitig zu erkennen.
Der Umgang mit bestehenden Gebäuden erfordert eine ganz andere Herangehensweise als dies für die Planung eines neuen Bauwerkes nötig ist. Das Bauwerk existiert bereits und Materialeigenschaften sowie Bauteilabmessungen lassen sich nicht mehr groß beeinflussen. Die Aufgabe des Bauingenieurs ist es, das bestehende Bauwerk so zu sanieren und instand zu setzen, dass eine weitere Nutzung möglich ist.
Allerdings ist die Bewertung der Trag- und Nutzungssicherheit nicht immer so einfach möglich. Meist existieren nur unvollständige oder überhaupt keine Unterlagen über das Bestandsbauwerk, und so müssen die benötigten Informationen durch eine umfangreiche Bestandsanalyse zusammengetragen werden. Doch ist nicht alles über das Bauwerk so einfach in Erfahrung zu bringen. Gerade Stahlbetonbauwerke aus den Anfängen des 20. Jahrhunderts haben oft eine zu geringe Bewehrung. Rein rechnerisch dürfte das Bauwerk gar nicht mehr stehen, aber die Realität sieht anders aus.
Um diesen Widerspruch zu lösen, greifen Bauingenieure gerne auf Versuche zurück und führen Probebelastungen durch. Die zu untersuchenden Bauteile werden dabei mit Hilfe von Hydraulikzylindern belastet und die Verformungen des Bauwerkes gemessen.
Diese Methode des Nachweises wird bereits seit vielen Jahrhunderten genutzt, weil sie für jeden offensichtlich beweist, dass das belastete Bauteil der Belastung standhält. Doch ist das reine „Bestehen“ des Versuches kein ausreichendes Kriterium dafür, dass das Bauteil auch in Zukunft nicht einstürzt. Deshalb darf während des Belastungsversuches das Bauteil nicht geschädigt werden, d. h. es dürfen sich keine großen Risse bilden oder die Decke nach dem Versuch stark durchhängen.
Diese Schädigungen werden während eines Belastungsversuches dadurch ausgeschlossen, dass das Bauteil die ganze Zeit messtechnisch überwacht wird. Die Verformungen werden online aufgezeichnet und können am Bildschirm in Echtzeit bewertet werden. Erreichen die Messwerte während des Versuches bestimmte Grenzwerte oder nehmen die Verformungen sehr stark zu, ist dies ein Anzeichen für ein sich ankündigendes Versagen. Bisher dürfen Bauteile nur dann durch Probebelastungen untersucht werden, wenn sichergestellt ist, dass sich ein Versagen rechtzeitig ankündigt.
Doch es gibt auch Versagensformen, bei denen eine solche Ankündigung nur sehr gering wahrnehmbar bzw. messbar ist, so dass eine rechtzeitige Entlastung nicht möglich ist und Schädigungen also nicht sicher ausgeschlossen werden können.
Genau mit diesen Versagensformen beschäftigt sich seit einem knappen Jahr eine Dresdner Forschergruppe intensiv. Ziel der Forschungsarbeit ist es, mit Hilfe von photogrammetrischen Aufnahmen und der Messung von Schallemissionen eine Vorankündigung auch bei diesen Versagensarten wahrnehmen zu können.
Bei der Photogrammetrie werden Punktmuster künstlich auf die Bauteiloberfläche aufgesprüht und diese während des Versuches ständig photographiert. Eine automatische Bilderkennung ermöglicht Punktverschiebungen im Mikrometerbereich zu messen und so bereits kleinste Veränderungen im Tragverhalten zu erkennen.
Während die Photogrammetrie das Bauteil von außen überwacht, werden die Vorgänge im Bauteilinneren mit Hilfe von Schallemissionen beobachtet. Jeder noch so kleine Bruchvorgang im Bauteil erzeugt Schallwellen die gemessen werden können und so erkennen lassen in welchem Zustand das Bauteil wirklich ist, obwohl es von außen vollkommen intakt scheint.
Mit Hilfe dieser beiden innovativen Messtechniken sollen in den nächsten Jahren Indikatoren entwickelt werden, die rechtzeitig eine Schädigung ankündigen und so Probebelastungen auch bei den Bauwerken eingesetzt werden können, bei denen es bisher nicht erlaubt war.
Diese Erweiterung der Methode des experimentellen Tragsicherheitsnachweises würde es ermöglichen eine große Anzahl von bestehenden Tragwerken, für die heute kein rechnerischer Nachweis möglich ist, zu erhalten, einen Abriss zu vermeiden und Bausubstanz zu schonen.
Gregor Schacht
Dieser Beitrag erhielt im Rahmen des Wettbewerbs Wissenschaftsreportage auf dem Doktorandensymposium 2010 des Deutschen Ausschuss für Stahlbeton (DAfStb) einen Sonderpreis. Gregor Schacht ist Wissenschaftlicher Mitarbeiter am Institut für Massivbau der TU Dresden.